AfD-Experte Andreas Kemper gibt Überblick zum „Rechtspopulismus“ im Nordosten

Nachdem Andreas Kemper bereits 2016 parallel zum damaligen Auftritt von Frauke Petry in Anklam über die Hintergründe und Strukturen im AfD-Umfeld aufklärte, lud ihn das Bündnis „Greifswald für Alle“ nochmals ein, dieses Mal nach Greifswald in das soziokulturelle Zentrum St. Spiritus mit über 80 interessierten Zuhörern.

Kempers Recherchen finden mehr und mehr Beachtung

Als Soziologe ist Kempers Schwerpunkt der Klassismus und hier insbesondere die stark unterschiedlichen Chancen im Bildungssystem in Abhängigkeit von der sozialen Herkunft. Im Rahmen seiner Untersuchungen dazu stieß er auf organisierte Lobbygruppen mit Ungleichheitsdogmen als ideologischem Fundament, die die Zugangsmöglichkeiten zu Bildung und sozialer Teilhabe einschränken wollen. In diesem Umfeld braute sich zur Bundestagswahl 2013 die AfD zusammen, deren Entstehung Kemper damals als erster wissenschaftlich beschrieb und das erste AfD-kritische Buch überhaupt vorlegte. Seitdem verfolgt er den Werdegang der Protagonisten, die Netzwerke hinter der Partei, das organisatorisch-personelle Geflecht zwischen nationallibertären Vordenkern, einflussreichen Wirtschaftsverbänden, christlich-fundamentalistischen Kreisen, neonazistisch-völkischen Vereinigungen und AfD-affinen journalistischen Akteuren. Dass Björn Höcke engen Kontakt zum NPD-Umfeld pflegte, unter Pseudonym in neonazistischen Zeitschriften publizierte und sogar zur Wahl der NPD aufrief, deckte Andreas Kemper schon sehr früh auf. Seine Rechercheergebnisse und die erdrückende Beweislast wurde nach und nach von den großen Medien aufgenommen und mittlerweile dienen sie sogar den innerparteilichen Feinden Höckes als Fakten, um die Hauptfigur des rechtsradikalen Flügels zu belasten.

Die drei AfD-Flügel

Weber bekennt sich zu Höcke

Aber nicht nur der Höcke-Flügel ist eine kritische Betrachtung wert, sondern auch die anderen Strömungen haben äußerst radikale Vertreter, die sich zunehmend durchsetzen. Kemper differenziert die Partei in jeweils den neoliberalen, den radikalreligiösen und den völkischen Flügel. Seit der Gründungsphase gibt es durchgängig diese drei Strömungen, nur die öffentlichkeitswirksamen Thematisierungen haben sich geändert. Während beispielsweise die homophoben, antifeministischen Aktivitäten Beatrix von Storchs anfangs noch kommuniziert wurden, verpackt man sie mittlerweile nur noch unter dem Schlagwort des Kampfs gegen Genderisierung. Dabei sind die Netzwerke ihrer aus dem Hochadel stammenden Familie brisant, denn hier vereinen sich antidemokratisch-monarchistische Ziele mit klerikalfaschistischen Tendenzen und ultrakapitalistischen Ideologien. So sehen sie Ungleichheit als Gottes Willen an, fordern die Wiedereinführung aller Adelsprivilegien, bekämpfen den für sie zu liberalen Papst, arbeiten mit den mafiösen „Legionären Christi“ zusammen, forcierten den Gesetzentwurf zur Einführung der Gefängnisstrafe bei Abtreibungen in Polen. Die Amtskirche und unsere progressive Gesellschaft mit individuellen Freiheiten ist für diesen AfD-Flügel wörtlich der Vorhof zur Hölle und den modernen Sozialstaat gilt es zugunsten rein familiär getragener Sozialstrukturen abzuschaffen. Diese Ansicht wiederum teilt sich die fundamentalistische AfD-Strömung mit den libertären Vertretern der Partei, die eine gewisse Überschneidungsmenge mit den öffentlich bekannten neoliberalen Wirtschaftsprofessoren, die es auch nach dem Weggang Bernd Luckes noch gibt, besitzen. So fordert Konrad Adam ein Klassenwahlrecht, das alle Leistungsempfänger von demokratischer Mitbestimmung ausschließt; der AfD-Vordenker und Doktorvater von Alice Weidel, Peter Oberender, wollte Hartz-IV-Bezieher zur Finanzierung ihrer Sozialleistungen durch Organspende heranziehen; der Chef der Libertären Alternative, Sven Tritschler, möchte das gesamte Sozial- und Rentensystem komplett abschaffen, dafür aber den privaten Waffenbesitz legalisieren, damit man sich gegen die Aufstände der dadurch entstehenden Armutsmassen wehren kann. All diese Hintergründe stellt Andreas Kemper seit geraumer Zeit seinen Blog-Lesern und den Gästen seiner Vorträge detailliert vor, aber nur die Verbindungen zwischen Höcke und der NPD und seine rassistischen Ansichten werden auch tatsächlich breitenwirksam aufgenommen. Die sind natürlich erschreckend und die Menge und Radikalität seiner direkt nationalsozialitischen Ausführungen und Anleihen sind besorgniserregend. Aber gerade vor dem Hintergrund, dass die AfD von Arbeitslosen und Geringverdienern deutlich überdurchschnittlich gewählt wird, wäre es umso wichtiger, dass das radikalkapitalistische Fundament der Partei ebenso in den Blickpunkt gerät. Die wenigen sozial ausgerichteten AfD-Kandidaten findet man auch entsprechend nur auf den chancenlosen hinteren Listenplätzen, die sozialen Punkte in den AfD-Programmen sind unrealisierbar durch die zahllosen Steuersenkungsforderungen und antisozialstaatlich ausgerichteten Ziele. Dessen sollte man sich deutlich bewusst sein, so macht Andreas Kemper klar.

Vergleich der Anträge/Anfragen im Landtag

Die AfD in Mecklenburg-Vorpommern

Wie ist nun die AfD im Nordosten zu verorten? Hierfür wurde eine Analyse der Anträge und Anfragen der Fraktion im Schweriner Landtag erstellt und konkrete Äußerungen der Spitzenleute aus MV untersucht. Die AfD des Landes hat einen deutlichen Schwerpunkt bei den Themen Polizei, Innere Sicherheit, Aufenthalts- und Asylrecht sowie den Kampf gegen erneuerbare Energien. Während DIE LINKE ihren klaren Schwerpunkt im Bereich der Bildungspolitik hat, sieht sich die AfD in der Aufgabe der Thematisierung von Kriminalität, Flüchtlingen (jede zweite Anfrage im Landtag hat Geflüchtete und Asylpolitik zum Gegenstand, im Kreistag Vorpommern-Greifswald votiert die AfD sogar gemeinsam mit der NPD) und geht sehr oft den Weg über die Kostenermittlung diverser Maßnahmen und Einrichtungen. Besonders perfide gehen die AfD-Abgeordneten vor, wenn sie sich beispielsweise nach der Situation der Prostitution oder der Verbreitung von Krankheiten im Land erkundigt, aber in der Ausformulierung vor allem daran Interesse daran hat, die Nationalität der Zuhälter und die Herkunft der Infizierten zu erfahren. Was sie mit der Information, dass fast alle Zuhälter MVs Deutsche sind, nun machen, ist leider unbekannt. Bekannt hingegen ist, dass der Juraprofessor Ralph Weber als Deutsche nur ansieht, wer analog zum Ariernachweis aus der NS-Zeit vier deutsche Großeltern hat und er sich konkret als Höcke-Unterstützer inszeniert. So übernimmt er zahlreiche Forderungen seiner Reden, beispielsweise eine 180-Grad-Wende im Umgang mit dem „Schuld-Kult“ oder beruft sich auf die mehr als tausendjährige germanisch-deutsche Vergangenheit. Und auch Weber hat wie Höcke, bzw. Höckes Pseudonym Landolf Ladig, mehr vor als nur parlamentarische Politik zu betreiben: so will er einen „Orkan“ erzeugen, der die linksgrüne Ideolologie „hinwegfegt“ und seinem nationalistischen Gesellschaftsentwurf „zum Sieg“ verhilft und er somit die AfD nur als „letzte evolutionäre Chance“ ansieht, aber letztlich eine revolutionäre Situation zum Umsturz der Verhältnisse anstrebt. Dies scheint der wesentliche Kern der Nordost-AfD zu sein, die sich nur oberflächlich als moderat ausgibt. Denn etliche andere Hinweise auf die ideologische Ausrichtung insbesondere des Greifswalder Kreisverbands lassen sich anführen: so gastierte nicht nur der erwähnte AfD-Gründer Konrad Adam 2016 hier, sondern auch der neurechte Erik Lehnert vom Institut für Staatspolitik, das eine dezidierte Gewaltagenda und faschistoid orientierte Metapolitik propagiert, hielt einen Vortrag im Burschenschaftshaus des Greifswalder AfD-Landtagsabgeordneten Kramer. Andreas Kemper sieht die MV-Landtagsfraktion zwar im Vergleich zu anderen AfD-Fraktionen noch als relativ vorsichtig formulierend an, aber die ideologische Grundausrichtung scheint eine der radikalsten bundesweit zu sein. Daher empfiehlt er dringende Wachsamkeit und stetige kritische Auseinandersetzung mit den Akteuren am rechten Rand.

Siehe auch: http://webmoritz.de/2017/05/17/andreas-kemper-demokratie-in-gefahr/